Die meisten Entscheidungen, die Führungskräfte treffen müssen, sind nicht „schwarz“ oder „weiß“, also nicht offensichtlich richtig oder falsch, sondern „grau“. Ein befreundeter Geschäftsführer eines Familienunternehmens überlegt zum Beispiel, seine unethisch handelnde Schwester zu entlassen. Ein weiterer Freund von mir überlegt hin und her, ob er einem Mitarbeiter, mit dem er sehr gut befreundet ist, eine zweite Chance gibt, auch wenn dieser das Unternehmen nach unten zieht.
Und welcher Unternehmer kennt nicht den inneren Kampf, einerseits viele Überstunden in das Unternehmen stecken zu müssen, wenn andererseits die Frau zu Hause mit dem Verhalten der Kinder zu kämpfen hat und Unterstützung braucht? Auf diese Fragen gibt es häufig keine leichte Antwort.
Wir könnten die Fragen, die sich hier stellen, umformulieren: Soll ich freundlich oder ein guter Verwalter sein? Soll ich weise handeln oder vergeben? Soll ich meine Pflichten zu Hause oder am Arbeitsplatz erfüllen?
Die Lösung kann „sowohl als auch“ lauten. Manchmal können wir keine Münze werfen, um zur richtigen Entscheidung zu kommen, sondern müssen beide Seiten der Medaille in die Gleichung einbringen. Wir müssen die verschiedenen Realitäten betrachten. Chip und Dan Heath zitieren in ihrem Buch „Decisive“ einen Experten: „Wann immer Sie in Ihrem Leben überlegen, ob Sie dies oder lieber das tun sollen, fragen Sie sich stattdessen, ob Sie nicht dies und das tun können. Überraschend häufig ist beides möglich“. Wir können dies den „Sowohl als auch“-Ansatz nennen.
Gott ist ein Gott von „sowohl als auch“.
Der Theologe Wayne Grudem schreibt: „Alles, was Gott sagt oder tut, ist mit allen Seinen Eigenschaften vereinbar.“ Gott wirft keine Münze und wählt den einen oder anderen Charakterzug. Bei Ihm heißt es immer „sowohl als auch“. Anders gesagt ist Gott immer: Gnade und Wahrheit, liebevoll und zornig, barmherzig und gerecht, weise und großzügig, fröhlich und über unsere Sünden traurig.
Zwei Wahrheiten in Spannung zueinander. Die Spannung zwischen zwei Wahrheiten auszuhalten, hat mir bei einigen der schwierigsten Entscheidungen der letzten Jahre geholfen. So kann zum Beispiel Gemeinschaft in Spannung zu persönlicher Verantwortung stehen, Mitleid in Spannung zu Gerechtigkeit, Großzügigkeit in Spannung zu Verantwortung, Vergebung in Spannung zu Rechtfertigung.
Ich erwähnte das Beispiel eines Freundes, der eine Entscheidung treffen musste, sich aber in zwei unterschiedliche Richtungen gezogen fühlte. Wir wissen, dass Jesus sagte, wir sollen „nicht nur siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal“ vergeben (Matthäus 18,22), aber die Führungskraft in uns weiß auch, was der Apostel Paulus schrieb: „Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen“ (2. Thessalonicher 3,10). Was also tun? Vergeben oder zur Rechenschaft ziehen? Wie können wir gleichzeitig gnädig und ein guter Verwalter unseres Unternehmens sein?
Anstatt der Person sofort zu kündigen oder einfach wegzuschauen (der „Entweder oder“-Ansatz) könnten Sie eine Frist von sechs Wochen einräumen, in der die betreffende Person sich mit messbaren Zielen beweisen kann. So bekommt sie die Gnade einer weiteren Chance, und Sie erhalten im Gegenzug eine gesteigerte Produktivität oder ausreichend Zeit, sich zu verabschieden. Das ist das, was ich mit dem „Sowohl als auch“-Ansatz meine. Auch hinsichtlich einer Work-Life-Balance oder persönlicher Großzügigkeit lässt sich dieser Ansatz anwenden. Die dabei entstehenden Spannungen mögen manchmal schwer auszuhalten sein, aber sie führen zu einem erfüllteren und authentischeren Arbeitsleben.
©2023. Dr. Stephen R. Graves ist Unternehmensstratege, pragmatischer Theologe und sozialer Kapitalist.
Er berät Manager und Unternehmer.
Übersetzung: Susanne Nebeling-Ludwar, Tübingen:
Bibelzitate sind der Übersetzung Hoffnung für Alle entnommen, wenn nicht anders angegeben.
CBMC InternatIonal: Chris Simpson, President. Tel.: +1 520 334 1114 Adresse: P.O. Box 17376, Tucson, Arizona 85731, USA E-Mail: –
Internet: www.cbmcint.org (IVCG-Manna Nr. 1024/ 25. KW 2023)