Janina Kürschner:Wie ich aus meinem Heim eine Heimat für andere machen kann

Gastfreundschaft für Anfänger

von: Janina Kürschner, Potsdam

»Sabbert es?«, Schwiegervater blickte auf seine einjährige Enkeltochter, die ich gerade auf seinem wertvollen Perserteppich ablegte. Er rannte los, bevor ich antworten konnte, und kam mit einem riesigen Bettlaken zurück. Der Teppich war in Sicherheit, die junge Familie entspannt.

»Ich verschwinde nur mal kurz in der Küche«, trällerte er anschließend. Wenn man kocht, dann richtig. Es sollte der besondere Salat sein. Plus Spaghetti für die, von zu viel Gesundheit angefochtene, Kinderseele. Nach einer halben Stunde öffnete ich vorsichtig die Küchentür, schwerer Geruch von angebratenen Zwiebeln empfing mich. Schemenhaft erkannte ich, durch den Dunst, den Chef de Cuisine. Es würde also noch dauern …

Möglicherweise war die eigentümliche Zwiebelmeditation nur eine Einstimmung, um schon einmal die Gesprächsthemen zu durchdenken. Denn das Gespräch hat im Hause Kürschner stets Vorrang vor der schnöden Nahrungsaufnahme. Der Mensch lebt eben nicht vom Brot allein! Das Leben muss im Allgemeinen und im Besonderen ausführlich besprochen werden, da wird nicht auf die Uhr geschaut. Wäre unsere Kleine nicht periodisch vom Laken gekrabbelt, hätten an diesem Nachmittag die wichtigsten Probleme der Welt ohne Zweifel gelöst werden können.

Der Dichter Horaz hat mal gesagt: »Ein Gastgeber ist wie ein Feldherr: Erst wenn etwas schiefgeht, zeigt sich sein Talent.« Besonders viel Talent braucht es offenbar bei Kindern. Wenn Gastfreundschaft darauf zielt, dass aus Fremden Freunde werden, dann schwingt auch stets die Sorge mit, dass es unter all der fröhlichen Kreativität auch ganz anders kommen könnte: Aus Freunden werden Fremde. Und so war es im Sinne des Sprichworts ein Feldherr bzw. Generalleutnant, der uns Gastfreundschaft lebendig werden ließ: Seine Frau hatte für unseren Maxi (4) schon eine Spielkiste mit exotischen Militärfahrzeugen bereitgestellt. Und die großen Kinder wurden von ihm persönlich sogleich ins Manöver geführt und mit den Sicherheitsmerkmalen eines echten Generalshaushalts bekannt gemacht: Kugelsichere Wohnzimmerscheiben, mannshohe Einfriedungsmauer, Hundespaziergänge natürlich nur mit Bodyguards. Das ist kein Kindergeburtstag. Oder vielleicht gerade doch: Die Jungs waren begeistert, besonders als noch selbstgebaute Sturmfeuergewehre aus Holz ausgegeben wurden. Ein Jahrzehnt Friedenserziehung wurde kurzfristig ausgesetzt, während zwei Teenager in imaginären Schützengräben verschwanden.

Aber der General hatte auch das Wohl der erwachsenen Gäste im Blick und extra einen interessanten Überraschungsgast eingeladen, mit dem uns ein Meer von Gesprächsthemen und Interessen verband. Während im Garten die Gefechte weitergingen und Maxi die längste Panzerreihe seines Lebens baute, ging es bei uns mit Wein und gutem Essen um Krieg und Frieden.

Gastfreundschaft erleben zu können ist wunderbar. Da öffnen Menschen ihr Haus, schenken ihre wertvolle Zeit und lassen einen an ihrem Tisch zur Ruhe kommen. Man kommt sich näher, teilt Gedanken aus eben noch fremden Lebenswelten und lernt neue Perspektiven kennen. Und wenn’s gut läuft, wird Fremdes vertraut.

So waren wir in den letzten Jahren oft zu Gast in anderen Häusern. In der Rolle des Gastes konnten wir lernen, wie Gastfreundschaft gelingen kann – aber auch was unangenehm ist und was Annäherung hemmt. Hektik ist beispielsweise solch ein Stimmungskiller. Wenn der Gastgeber ständig auf die Uhr schaut, hat man als Besucher das Gefühl, dass man lieber bald wieder gehen sollte und mag erst gar nicht richtig ankommen. Auch der Fokus auf die Rahmenbedingungen, z. B. das Essen, kann einen Gastgeber mehr in Beschlag nehmen, als es für die Beziehungspflege mit dem Gast hilfreich ist.

Das kennen wir schon aus der Bibel. »Marta machte sich viel zu schaffen, ihnen [d. h. den Gästen] zu dienen« (Lukas 10,40). Dabei tat Marta eigentlich das, was man von einer guten Gastgeberin damals erwartete. Sie umsorgte die Gäste. Dabei störte es sie, dass ihre Schwester lieber Jesus zuhören wollte und sie allein mit der Arbeit dastand. Und dann bat Marta auch noch den Gast, ihr beizustehen: »Jesus, sag Du’s ihr…!« Während unsereinem dann schmerzlich bewusst geworden wäre: oh Schreck, was für eine peinliche Situation – gab Jesus der pflichtbewussten Marta den heißen Tipp: Einfach mal hinsetzen und zuhören!

Manchmal entsteht aus solcher Unruhe auch eine Spannung zwischen den Gastgebern. Da wird der Hausherr von seiner Frau aufgefordert, »mal kurz« die Wasserkiste aus dem Keller zu holen. Und als der sich, vertieft ins Gespräch mit den Gästen, nicht sofort in Gang setzt, wird er nochmal nachdrücklich von ihr erinnert. Die Gastgeber unterschätzen manchmal, wie sensibel Gäste diese Stimmung wahrnehmen. Ein einziges Augenverdrehen der Ehefrau, wenn ihr Mann etwas sagt oder zu laut lacht, offenbart dem Gast: Hier stimmt etwas nicht – und schade, dass vorher offensichtlich keine Zeit für ein klärendes Gespräch war.

Möglicherweise wird sich der Gast sogar in die Spannungen hineingezogen fühlen und glaubt, für eine der Seiten Partei ergreifen zu müssen. »Bist du für ihn oder für sie?« – »Was ist dein Standpunkt in der Angelegenheit?« Da wechselt man unvermittelt vom gemütlichen Gästesofa auf die Anklagebank. Wie sollen Fremde zu Freunden werden, wenn die Gastgeber sich schon nicht grün sind?

Nun wollten wir diese Erfahrungen gern auch an andere Menschen weitergeben. Sind wir als Christen nicht sowieso auch zur Gastfreundlichkeit berufen – und zwar ohne Murren? (1. Petrus 4,9)

Was können wir nun tun, dass sich Menschen bei uns wohlfühlen? Die erste strategische Frage lautet: Wen lädt man eigentlich ein? Bei uns hat sich ein Mix aus Fremden und Freunden bewährt. Wenn ich einen Umzugswagen in der Nachbarschaft beim Ausladen sehe, finde ich es regelmäßig spannend, wer dort einzieht – und frage nach! Wenn wir uns beim nächsten Mal auf der Straße begegnen, kommen wir vielleicht über unsere beruflichen Dinge ins Gespräch. Oder man trifft sich beim Elternabend. Und wie oft begegne ich interessanten Menschen, wenn ich unseren Sohn aus dem Kindergarten abhole. Bis der sich seine Schuhe angezogen und sein Kuscheltier gefunden hat, habe ich schon die nette Mama kennengelernt, die gerade mit ihrer Familie nach Potsdam gezogen ist. Meist hat man nach ein paar Sätzen ein ganz gutes Gefühl dafür, ob Lust und Offenheit besteht der Nachbarschaft näherzukommen. Und während Maxi sich dann noch von all seinen Freunden verabschiedet, kann ich noch schnell hinzufügen, dass mein Mann und ich so einen Gesprächssalon veranstalten, wo man sich in privater Atmosphäre ein wenig kennenlernen kann. Und der nächste Abholtermin im Kindergarten kommt bestimmt. Da habe ich dann meist schon eine Einladung dabei, die ich überreiche.

Unsere Salonabende finden ca. fünfmal im Jahr statt, immer am Samstagabend. Ein Zeitfenster von zwei Stunden sollte man schon einplanen, denn Begegnungen brauchen Zeit. Aber auch ein fest definiertes Ende macht es den persönlich und beruflich oft stark beanspruchten neuen Gästen leichter zuzusagen.

Um Hektik zu vermeiden, sollte das Essen gut vorbereitet sein. Da hat man es heute sicher etwas entspannter als die Generationen vor uns: Keiner erwartet mehr ein Drei-Gänge-Menü. Lieber lernt man beide Gastgeber kennen. Deswegen kommen unsere Häppchen am Anfang zu den sich Unterhaltenden, denn gute Gespräche können sich eher entwickeln, wenn man auch Zeit hat, beim Gegenüber zu sein, ihm in Ruhe zuzuhören. Oder man bedient sich gleich selbst. Das ist ohnehin viel kommunikativer, da die besonders Hungrigen sich immer direkt am Buffet unterhalten. Kinderliebe Menschen kommen dabei auch auf ihre Kosten, denn unsere zwei Teenager servieren die Häppchen und lassen sich auf Nachfrage auch gern entlocken, dass sie bei der Vorbereitung tatkräftig geholfen haben. Da Gastfreundschaft ja ein Stück geteiltes Leben ist, gehören unsere Kinder auch dazu.

Und je älter unsere Kinder werden, umso interessanter sind für sie auch die Gespräche der Erwachsenen – manchmal zu interessant, wie wir dann am nächsten Morgen finden. Oft weiß ich nicht, mit welchen Fragen und Sorgen unsere Besucher zu uns kommen, allerdings möchte ich nicht, dass sie gehen, ohne über das sprechen zu können, was sie bewegt. Unsere Gesprächsabende sollen genau das ermöglichen: dass Besucher sich eingeladen fühlen, über das ins Gespräch zu kommen, was im Leben zählt – statt nur das aufzuzählen, was sie besitzen: Mein Haus, mein Auto, mein Charity-Projekt …

Da sind wir dann auch ganz nahe an dem, was der geistliche Wert von Gastfreundschaft ist: Dass wir, wie Romano Guardini es ausdrückt, einander »Rast geben auf dem Weg nach dem ewigen Zuhause«. Das große Ganze ist natürlich selten an einem Abend zu besprechen. Aber ein gutes Gespräch kann auch später noch Früchte tragen. Und glücklicherweise folgt ja die nächste Einladung auch bald.

Mit freundlicher Genehmigung von Janina Kürschner

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Den vollständigen Text können Sie lesen in: „Morgens Zirkus, abends Theater … und zwischendurch ganz großes Kino“ (2021)

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